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Das Ende des ungezügelten Kapitalismus

 
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Solve_et_Coagula
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BeitragVerfasst am: 23.12.2008, 14:49    Titel: Das Ende des ungezügelten Kapitalismus Antworten mit Zitat

Das Ende des ungezügelten Kapitalismus

von Scott Champion


Von einem unserer Korrespondenten
Auszug. Den gesamten Artikel finden Sie in der Magazinausgabe von Share International, Dezember 2008.

Für viele internationale Beobachter wurde vom 17. auf den 18. September 2008 das Ende des Kapitalismus amerikanischer Prägung eingeläutet, der in den darauf folgenden Tagen von überraschend vielen Politikern und Ökonomen in aller Welt zum "Cowboy-Kapitalismus" erklärt wurde. An jenen zwei Tagen lösten in den USA die abstürzenden Aktientageskurse und der Ansturm auf Geldmarktfonds unter vielen Investoren eine Jagd nach absoluter Absicherung aus. Die sprunghaft steigende Nachfrage nach als sicher geltenden Finanzinstrumenten wie US-Schatzwechsel schickte die Zinsen in ein Rekordtief nach dem anderen.

In den Nachmittagsstunden des 18. September musste dem US-Finanzministerium klar geworden sein, dass das Finanzsystem unmittelbar vor einem systembedingten Kollaps stand. Die wichtigen Kapitalmärkte der Nation wurden von einem Ansturm verängstigter Kontoinhaber auf die Banken getroffen, die in den zwei Tagen Hunderte Milliarden Dollar an ungesicherten Einlagen abhoben. Die USA erlebten einen Finanzcrash wie seit über 70 Jahren nicht mehr. Um zu verhindern, dass es zu einem plötzlichen Zusammenbruch des Finanzsystems kommt, ließ das US-Finanzministerium am 18. September an die Presse durchsickern, dass in Kürze ein Gesetzentwurf für ein gewaltiges Rettungspaket angekündigt würde. Kaum war die Nachricht an die Öffentlichkeit gelangt, stiegen die Kurse wieder. Fürs erste war der Kollaps der Börsen und des Finanzsystems aufgehalten. Doch erwies sich dies nur als ein kurzzeitiges Allheilmittel.

Was aber ist der Grund für das Scheitern der weltweit führenden Wirtschafts- und Finanzmacht USA und für die Ablehnung des US-amerikanischen Geschäftsstils? Die Antwort ist offensichtlich: seine Gier. Diese Gier, verbunden mit der Arroganz und Illusion der Wall Street, erweist sich jetzt als eine besonders zerstörerische Kombination. Vor weniger als zwei Jahren hatte der US-amerikanische Finanzminister Henry Paulsen den Chinesen noch Vorträge über die Vorzüge des nordamerikanischen Freistilkapitalismus gehalten, der Innovationen im Finanzsystem den Wall-Street-Spekulanten und den ungebundenen Hedgefonds überlässt und getreu dem Ideal des freien Marktes auf die Selbstregulierungsfähigkeit des Markts vertraut. Nach dem Scheitern des Bankensystems und der monetären Infrastruktur der USA ist nun dieser Glaube an den freien Markt, an einen ungezügelten Kapitalismus, praktisch überall erschüttert, auch, wie es scheint, in den USA, die jetzt erkennen, was die Gier der Wall Street nicht nur dem eigenen Land, sondern der ganzen Welt angetan hat.
Sicher ist Amerika nicht das einzige Land, das von dieser beispiellosen Gier befallen ist. Aber viele der gegenwärtigen Probleme auf der Welt wurden in den USA produziert und von ihrer Finanzdienstleistungsbranche exportiert. Da sich diese "Finanzinnovationen" über den ganzen Globus verbreitet haben, wurden selbst seit jeher konservative Banken wie etwa die größte Schweizer Bank UBS in den Kollaps der hypothekarisch besicherten Wertpapiere hineingezogen, die die Wall-Street-Banker in enormen Mengen aufgelegt haben. Auch Großbritannien mit seinem Finanzzentrum London sieht sich gezwungen, zuzugeben, dass es durch sein eigenes unkluges und fahrlässiges Verhalten an der globalen Krise mitschuldig ist, und ebenso das europäische Festland.

Ein Großteil der Schuld an der gegenwärtigen Krise wird dem Verfall der US-Immobilienpreise zugeschrieben, der weitgehend die Folge exzessiver Spekulationen und der Politik des billigen Geldes der US-Notenbank unter Alan Greenspan ist. Doch das trifft nicht den Kern und verschleiert das eigentliche Problem. Wären nur die verfallenden Immobilienwerte das Problem, könnte der amerikanische "Resolution Trust", eine staatliche Vermögensverwaltungsgesellschaft, die 1989 zur Sanierung notleidender Hypotheken der US-Sparkassen eingerichtet worden war, auch diesmal die faulen Hypotheken übernehmen und deren ordnungsgemäße Abwicklung vornehmen. Nach diesem Szenario wäre die Lösung der gegenwärtigen Krise ziemlich einfach, wenngleich auch teuer.
Das Problem besteht aber heute darin, dass es sich bei den "Finanzinnovationen" der Wall Street um die Erzeugung von Derivaten und die Verbriefung einer Vielzahl von unterschiedlichen Anlagen in fast unbegrenzter Menge handelt, etwa Hypotheken, Kreditkartendarlehen, Auto- und Studienkrediten - nahezu alles, was Banken und Börsenmakler zu Wertpapieren zusammenschnüren und dann verkaufen konnten. Damit konnten die Banken und Broker diese Finanzprodukte aus ihren Bilanzen ausgliedern und dennoch Profite einstreichen: für die Ausgabe und Serviceabwicklung der Kredite. Globale Investoren, immer auf der Suche nach noch höheren Renditen, schnappten sich diese Wertpapiere, erkannten aber nicht, welche Folgen Investitionen in diese neuesten Wall-Street-Kreationen haben.
Als die Verbriefung von Krediten voll im Gang war, fing die Wall Street an, diese Anlagen, entsprechend den Wünschen der Investoren, in Tranchen beziehungsweise Scheiben zu zerlegen - von Anlagen mit hohen Renditen und hohem Risiko bis zu Anlagen mit niedrigeren Renditen für jene, die zwar Sicherheit wollten, jedoch höhere Renditen, als die Geldmärkte ihnen boten. Kredite minderer Qualität wurden zusammengeschnürt und zum Verkauf angeboten - als seien sie in einer wundersame Wandlung allein dadurch, dass sie zu Paketen zusammengeschnürt waren, auf einmal hochwertig geworden. Die Logik der Wall Street bestand darin, dass Papiere mit geringer Bonität, zu neuen Wertpapieren verschnürt, nicht mehr als Schrott einzustufen seien, da ja nicht jeder Schuldner mit schlechter Bonität zahlungsunfähig werden würde. Man ging davon aus, dass nur ein vorhersehbarer Prozentsatz der Kredite ausfallen würde und daher diese Wertpapiere eine sichere Anlage sein müssten. Die Ratingagenturen, korrumpiert durch die großen Summen, die ihnen für eine hohe Einstufung solcher Papiere nachgeworfen wurden, versäumten ihre Pflicht, die Risiken dieser "neuen Kapitalanlage" korrekt zu bewerten. Viele Papiere, die kaum mehr als Schrottanleihen waren, wurden von ihnen als einwandfrei eingestuft, was sie weltweit für die Aufnahme in Pensionsfonds qualifizierte, die zu den Großeinkäufern von hypothekarisch gesicherten Wertpapieren wie Hypothekenpfandbriefe zählen.
Auch andere globale Investoren, insbesondere Banken und Hedgefonds, kauften groß ein. Die Wall Street verkaufte jedem diese Illusion, und sie wurde allgemein akzeptiert. Die Vermögensverluste der Investoren durch diese gefährlichen Finanzprodukte belaufen sich derzeit auf fast 700 Milliarden Dollar. Der jüngsten Prognose der Bank of England zufolge können die Verluste aus diesen Finanzinstrumenten auf 2,8 Billionen Dollar auflaufen. Eines ist jedenfalls sicher: Das globale Finanzsystem muss sich das wahre Ausmaß der Verluste erst noch eingestehen.

Viele New Yorker Banken und Börsenmakler müssen noch immer mit gewaltigen Verlusten bei den von ihnen eingerichteten Zweckgesellschaften, den sogenannten Structured Investment Vehicles (SIV) rechnen, die die Banken und Broker entwickelt hatten, um Provisionen einzustreichen sowie die Schulden aus ihren Bilanzen auszugliedern und damit die Risiken zeitweilig auf andere zu übertragen. Die Schöpfer dieser gefährlichen Finanzinstrumente stehen allerdings vor dem Problem, dass die Risiken und Verluste häufig wieder in die Bankbilanzen zurückkehren, wenn bei den SIVs Zahlungsschwierigkeiten eintreten. Die große amerikanische Citibank soll SIVs im Wert von mindestens 1,1 Billionen Dollar gehabt haben. Mit welchen Verlusten aus SIVs angesichts des gegenwärtigen Schadens auf den globalen Finanzmärkten noch zu rechnen ist, ist nicht bekannt, sie scheinen aber erheblich zu sein.

Dabei sollte festgehalten werden, dass die meisten dieser "Finanzinnovationen" ein einziges Motiv haben: die den Banken und Börsenmaklern auferlegten Restriktionen, die bestehenden gesetzlichen Regelungen für Fremdkapitalaufnahme, zu umgehen, da sie in den Augen der Banken ihr Profitpotential einschränken. Wie in allen Finanz- und Wirtschaftssektoren bedeutet auch im Bankwesen ein höherer Verschuldungsgrad höheres Risiko. Der Verschuldungsgrad bezeichnet das Verhältnis von Fremdkapital zu Eigenkapital - anders ausgedrückt: Ein Finanzinstitut kann sich für jeden Dollar, den es tatsächlich besitzt, beispielsweise 30 Dollar leihen. Die Festlegung der Wall Street auf Profitmaximierung hat zu höherer Fremdkapitalaufnahme geführt und in der Folge zu einem Schattenbankensystem - Hedgefonds, Private Capital Groups, Staatliche Investitionsfonds, SIVs, Derivate -, das nicht den normalen Regulierungsbehörden unterliegt. Begünstigt hat dies alles die Haltung "Hände weg von Regulierungen" der Bush-Administration, die an freie und unregulierte Märkte glaubt.

Ein Beispiel für dieses Laisser-faire: 2004 gestattete die US-Börsenaufsicht nach einstündiger Beratung den Börsenmaklern, ihren Fremdkapitalanteil im Verhältnis zum Eigenkapital von 12 zu 1 auf 30 bis 40 zu 1 zu erhöhen. Vier Jahre später sind nun die fünf größten US-Brokerfirmen durch diese Lockerung der seit langem bestehenden Vorschriften keine vollkommen unabhängigen Unternehmen mehr oder sogar von der Bildfläche verschwunden. Bear Stearns wurde über Nacht an JP Morgen Chase verkauft. Merrill Lynch ging an einem Wochenende an die Bank of America. Lehman Brothers scheiterte gänzlich. Morgan Stanley wurde zum Verkauf eines beträchtlichen Teils seines Kapitals an ein japanisches Unternehmen gezwungen und außerdem - wie auch der Wall-Street-Großbroker Goldmann Sachs - zu einer Teilverstaatlichung im Zuge des 700 Milliarden Dollar schweren US-Rettungspakets. Die beiden Wall-Street-Titanen mussten ihre Unabhängigkeit als Investmentbank aufgeben und wurden Bankholdinggesellschaften, für die strengere Vorschriften gelten.

Dieses Chaos ist ohne Ausnahme das Ergebnis von ausufernder Spekulation und unkluger, extremer Fremdkapitalaufnahme. Doch letztendlich wird dafür nicht die Wall Street aufkommen müssen. Die Kosten wird der Steuerzahler zu tragen haben, da die Gewinne "privatisiert", die Verluste jedoch "sozialisiert" wurden. Für gierige Banker ist dieses System großartig, aber der Gemeinschaft wird es unermesslichen Schaden zufügen, wenn die endgültigen Kosten dieser Exzesse einmal fest stehen.
Der schlimmste finanzielle und wirtschaftliche Schaden wird wahrscheinlich durch die unregulierten, an der Wall Street nicht offen gehandelten Derivate entstehen. Die Standardderivate, die etwa auf den Warenterminmärkten - für Getreide, Metall, Energie, Nahrungsmittel und Finanztitel - gehandelt werden, sind stark reguliert und transparent. Die unregulierten Derivate wie beispielsweise Credit Default Swaps (CDS), eine spezielle Form von Kreditausfallversicherungen, sind etwas ganz Anderes - Wetten auf den Zahlungsverzug eines Unternehmens. Diese CDS besitzen laut dem Warenterminexperten Jim Sinclair folgende Merkmale:

- sind nicht reguliert
- sind nicht börsennotiert
- unterliegen keiner Normierung
- sind nicht transparent
- haben keinen öffentlichen Angebots- und Nachfragemarkt
- werden privatvertraglich gehandelt
- werden nicht über Clearingzentren abgerechnet
- sind nicht gedeckt und ohne jegliche Sicherheit
- sind Verträge über spezielle Leistungen
- ihr Einlösungsbetrag ist abhängig vom Rechnungsabschluss des Verlierers des Vertrags
- werden mit Modellrechnungsprogrammen per Computer evaluiert.
[...]

Vorerst aber ist Geld Trumpf. Es ist aber mit weiteren Bürgschaften, Kapitalspritzen und sonstigen Maßnahmen zur Inflationsbelebung zu rechnen. Eine Deflation wirkt sich besonders zerstörerisch auf hochverschuldete Volkswirtschaften wie die USA aus, und diese werden zweifellos versuchen, diesem Druck mit massiver Geldschöpfung entgegen zu wirken. Die USA haben einfach keine andere Wahl, wenn sie verhindern wollen, dass es noch einmal zu einer großen Weltwirtschaftskrise kommt. Man kann deshalb davon ausgehen, dass der US-Dollar noch schwer unter Druck geraten wird, was dazu führen kann, dass er seine Position als Weltreservewährung verliert.

Die Volatilität wird weiterhin hoch bleiben, da eine Deleverage-Welle von einer Krise in die nächste führen wird. Auch wenn es unausbleiblich sein wird, dass die "Herren des Geldes" versuchen werden, am unregulierten freien Markt festzuhalten, ist der Kapitalismus, den wir kennen, bereits tot. Überall wird Politikern und Ökonomen bewusst, dass die Marktkräfte destruktiv sind und ihnen daher von der Gesellschaft mit strengen Weltmarktregeln Zügel angelegt werden müssen. Besonders die Europäer, Russen und Chinesen gehen mit der Forderung nach einer neuen globalen Finanzarchitektur voran und verlangen eine umfassende Neubeurteilung der herrschenden Ideologie des freien Markts.

http://www.shareinternational-de.or....2008/0810_hefte_frame.htm
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