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Die Zukunft kommt aus Kalifornien

 
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Solve_et_Coagula
Earthfiler


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BeitragVerfasst am: 12.09.2009, 12:06    Titel: Die Zukunft kommt aus Kalifornien Antworten mit Zitat

Die Zukunft kommt aus Kalifornien

Von Peter Haffner.

Neue Ideen braucht die Welt! Und die besten davon kamen schon immer von der US-Westküste. Ein Besuch bei seriösen Hippies, grünen Kapitalisten und fröhlichen Weltverbesserern im Golden State.

Der Highway 101 wird auch «Highway of Dreams» genannt. Parallel zur Pazifikküste führt er durch ganz Kalifornien. Selbst wer ihn nicht kennt, hat die Träume, die an ihm geträumt und verwirklicht werden, in seinem Leben. Den iPod zum Musikhören. Die Suchmaschine Google, um im Internet zu surfen. Die Fitnessmode, der er gerade huldigt.

Kalifornien ist die Brutstätte der globalen Kultur. Ob McDonald’s oder Skating, Bluejeans oder politische Korrektheit — was hier das Licht der Welt erblickt, formt sie. Das Bild jenes Amerika, dem viele nachzuleben versuchen, kommt aus Hollywood, der Traumfabrik bei Los Angeles. Wer in die Zukunft sehen will, schaut auf den Golden State; Kalifornien ist die Kristallkugel, die den Planeten von morgen zeigt. Der Highway 101 ist die Schlagader.

Ich will sehen, was los ist mit dem Staat, der jetzt pleite ist; ihm den Puls fühlen. In Nordkalifornien gibt eine neue Generation Hippies zu reden, die ein pragmatisches Utopia lebt. Im Silicon Valley, das den Computer und das Internet alltäglich gemacht hat, gilt Cleantech als das nächste grosse Ding. Risikokapitalisten investieren in junge Startups, die mit der Rettung der Welt vor der globalen Klimaerwärmung Geld verdienen wollen. Und in San Francisco, dessen «Summer of Love» eine Generation prägte, sind deren Nachkommen daran, den Kampf für ein besseres Diesseits auf eine solid kapitalistische Geschäftsgrundlage zu stellen.

Grund genug, das Auto zu packen und loszureisen. Mein alter Chevrolet gibt dem Unternehmen eine ironische Note. Nicht nur des Namens wegen, den er dem ebenso genialen wie glücklosen Schweizer Autokonstrukteur verdankt. Etwas Schicksalergebenes, ganz und gar Un-Kalifornisches geht von ihm aus. Die Farbe blättert, die Klimaanlage hat längst den letzten Schnaufer getan, und nehme ich hinter dem Steuer Platz, quittiert er das mit einem Ächzen, dass ich mich unwillkürlich entschuldige.

Es ist Sommer und über vierzig Grad heiss, eine Ochsentour für uns beide. Ich plane, mich mit Leuten zu treffen, die nicht mal das Geld hätten, mir die Karosse für ein paar hundert Dollar abzukaufen. Und mit solchen, die Hunderte von Millionen Dollar auf dem Konto haben.

Hippies 2.0: Emerald Earth Sanctuary

Mein erstes Ziel ist eine Landkommune, nicht weit von dem Ort am Highway 101, wo ich wohne. Es ist dreissig Jahre her, seit ich das letzte Mal eine Kommune besuchte. Es war im schweizerischen Jura; sie bestand aus zwei, drei Männern und ein paar Frauen, welche die freie Liebe predigten und eine sieben Meter breite Matratze hatten. Es war nicht so aufregend, wie es klingt. Die Sorge um die Gurken, die nicht wachsen wollten, warf einen Schatten auf die sinnlichen Freuden, zumal die Autorität des grossen Zampano sich weniger seiner natürlichen Ausstrahlung verdankte als der Tatsache, dass sein Harem schwerlich im Folies-Bergère hätte auftreten können.

Auch jene Kommune war ein Klon aus Kalifornien. Ende der Sechziger-, Anfang der Siebzigerjahre waren junge Leute aufs Land ausgeschwärmt, die den Liebessommer nicht hatten enden sehen mögen. Sie gründeten Kommunen, schluckten LSD und suchten den Trip auf den Boden der Realität zu holen, indem sie Ackerbau betrieben. Immer wieder treffe ich welche im lokalen Bioladen: siebzig-, achtzigjährige Althippies mit weissen Dreadlocks und psychedelisch bunten T-Shirts, die selten am Stock gehen.

Die dunklen Seiten jener Jahre sind nicht minder gegenwärtig. Jim Jones hatte seinen «People’s Temple» in Redwood Valley, ein paar Kilometer von meinem Wohnort entfernt. Von da brachte er seine mehr als neunhundert Anhänger in den Dschungel von Guyana, nach «Jonestown», wo er einen der grössten Massenselbstmorde der Geschichte inszenierte.

Manche sagen, es sei hier etwas in der Erde, eine Strahlung, die einen verrückt mache. Daran muss ich denken, als ich nach Philo im Anderson Valley unterwegs bin, wo Charles Manson lebte, bevor er nach Los Angeles zog und seine Kommune zu zahlreichen Morden anstiftete, unter anderem an Roman Polanskis hochschwangerer Ehefrau Sharon Tate.

Das Anderson Valley erstreckt sich westlich vom Highway 101 in Richtung Küste. Boonville, der Hauptort, ist ein Dorf inmitten von Rebbergen und Obstgärten. Die Einwohner gelten als Sonderlinge. Untereinander sprechen sie eine Geheimsprache, die Aussenseiter nicht verstehen, und zu Halloween, wie eine befreundete Galeristin weiss, veranstalten sie Sexpartys, bei denen jeder mit jeder darf und die Maskierung etwas Komisches hat, weil sich doch alle kennen. Die Landschaft ist ausgedörrt, golden glüht das Gras in der trockenen Hitze. Die Fenster sind offen, und der Fahrtwind bläst den letzten Gruss eines Skunks ins Wageninnere. Ein überfahrenes Tier, das seinen übel riechenden Strahl auf einen vierrädrigen Feind gespritzt hat.

Emerald Earth liegt in den Hügeln, inmitten eines Tannenwaldes. Die Gemeinschaft hat ihren Namen von L. Frank Baums Kinderklassiker «The Wizard of Oz»; Emerald City ist die geheime Stadt, wohin es das Mädchen Dorothy verschlägt, nachdem ein Tornado es samt Haus aus Kansas entführt hat. Ich fahre das Strässchen hoch, gelange ans Tor, öffne das Zahlenschloss mit der Kombination, die mein Kontaktmann mir gegeben hat, und bin im Reich der Kommune.

Mika

Mika ist in den Vierzigern, schlank, mit blauen Augen, die leuchten wie eine elektronische Anzeige. Er hat Soziologie studiert, trägt lange, grauschwarze Haare und einen Spitzbart, der seiner Sanftheit eine gewisse Schärfe gibt. Er hat sein halbes Leben in Kommunen gelebt und nun in Emerald Earth gefunden, was er suchte: die Freiheit, nichts zu besitzen.

Er führt mich auf dem Areal herum, das 76,5 Hektar umfasst. Die Äcker und die Siedlung befinden sich auf einer Waldlichtung, die eingezäunt ist, um das Wild abzuhalten. Die Häuser sind aus Holz, Stroh und Lehm, doch so komfortabel wie konventionell gebaute. Es gibt fliessendes Wasser, Strom und Heizung; nur die Komposttoiletten sind ausserhalb. In grossen Glaskästen, die Solarpanels gleichen, werden die mit Sägemehl vermengten Exkremente in der Sonne gebacken, um pathogene Keime abzutöten, und dann als Dünger verwendet.

Es gibt ein Gemeinschaftshaus mit Küche und Aufenthaltsraum, ein Waschhaus mit Sauna, ein Hühnerhaus und einen Ziegenstall, dazu ein Treibhaus und zwei grosse Gärten mit Gemüsen, Früchten, Beeren und Kräutern.

«Nichts davon gehört uns», sagt Mika. Wer hier lebt, baut mit auf und lässt es zurück, wenn er geht. Nur persönliche Dinge, die man mitgebracht oder gekauft hat, bleiben einem. Mika hat ein paar Musikinstrumente, Bücher, etwas Geschirr.

Rechtlich ist Emerald Earth eine Non-Profit-Organisation; das Land wurde der Kommune von einer Gönnerin geschenkt. Die Generation, die jetzt die real existierende Utopie lebt, ist schon die dritte. Von den ersten notdürftigen Unterkünften in der Senke bis zu den neuen Häusern am Sonnenhang spiegelt sich der Aufstieg von Pionieren zu Siedlern. Zwar läuft niemand mit einem BlackBerry herum, doch es gibt ein Mobiltelefon und eine Satellitenschüssel fürs Internet. Sonne und Wasserkraft liefern den Strom, ein Grauwassersystem reinigt die Abwässer, und die Landwirtschaft ist auf Permakultur ausgelegt, was — kurz gesagt — heisst, dass man der Natur nichts nimmt, was man ihr nicht in einer verdaulichen Form zurückgeben kann.

Doch das sind Äusserlichkeiten. Ich habe einst selber in einem selbstverwalteten Betrieb gearbeitet und gelernt, dass nicht die Handarbeit oder die bescheidenen Verhältnisse einem zu schaffen machen, sondern das Sozialleben. Wo die Stossdämpfer einer formalen Hierarchie fehlen, prallt man schutzlos aufeinander. Kollektive folgen nicht selten dem Muster von Segeltörns: In der ersten Woche fallen alle einander um den Hals, in der zweiten geht man einander auf die Nerven und dann, falls man sich nicht zusammenraufen kann, ans Lebendige. Mich nimmt wunder, in welchem Stadium Emerald Earth ist.

Huldigung einer Art Naturreligion

Um halb eins schlägt die Glocke zum Mittagessen. Plötzlich belebt sich der Wald; von überall her kommen, wie von einer Fee hingezaubert, Leute zwischen den Bäumen hervor. Man versammelt sich um den grossen Tisch vor der Küche, auf dem gut zwei Dutzend Speisen stehen, hält sich bei den Händen und singt ein Lied mit dem Refrain: «Every little cell in my body is happy and well». Eine junge Frau, grazil wie eine Gazelle, wiegt sich verträumt im Takt, ein bärtiger Waldmensch steht still wie ein Baum, manche wippen mit den Füssen. Die Köche erläutern die Speisen, informieren, was für Vegetarier, für Veganer, für Fleischesser, für Personen mit speziellen Diäten, mit einer Allergie auf oder einer Abneigung gegen irgendetwas ist. Alles ist köstlich, frisch von der Ernte, raffiniert gewürzt.

Ich setze mich an den Tisch zu der Gazelle, die Prana heisst und für den unteren Gemüsegarten verantwortlich ist. Ich sah sie zuvor, wie sie sich zwischen den Bohnen und Tomaten wie in Zeitlupe bewegte. Sie gibt bereitwillig Auskunft über ihre Tätigkeit, aber noch mehr als darauf höre ich auf die Art und Weise, wie sie redet.

Die Mitglieder von Emerald Earth huldigen einer Art Naturreligion, was sich zeigt in Äusserungen wie «Danke dir, Geist» oder «Das Universum hat unseren Ruf erhört» — ein kosmischer Pantheismus, der nicht zur Schau getragen wird. Man feiert die Sonnenwenden, den Muttertag, Neujahr. Mika alias «Reverend Lovejive» leitet einen «Pagan Gospel Choir», der so beliebt ist wie die Bands aus der Umgebung, die ab und zu aufspielen.

Nach dem Essen steht das wöchentliche Geschäftsmeeting auf dem Plan. Brent, eine sportliche Erscheinung mit gepflegtem Dreitagebart und kurz geschnittenem Haar, übernimmt die Leitung. Lisa erklärt die Evakuationsrouten im Fall eines Waldbrandes, Patrick teilt mit, dass er morgens um sieben meditiere und Ruhe brauche, und Liz, Brents Frau, will in der Frühe niemanden um den Ziegenstall haben, weil das beim Melken störe. Zu erledigende Arbeiten werden verlesen, vom Apfelbäumeschneiden bis zur Wasserpumpe-Reparatur; man meldet sich freiwillig. Dann schliesst man mit einem Spiel, drängt sich zu einem Haufen; jeder soll zwei Hände fassen und ein erster Händedruck weitergegeben werden, bis er wieder beim Urheber angelangt ist. Worauf man sich entwirren und einen Kreis bilden will, ohne einander loszulassen.

Wir kriechen unter Armen durch, steigen übereinander, um den Knäuel zu einem Ring zu formen, und schaffen es doch nicht. Vielleicht ist es ein Symbol dafür, wie schwierig das scheinbar Einfache ist.

Konsensbildung, gewaltlose Kommunikation und die Priorität von Sachkompetenz in Autoritätsansprüchen sind die Leitsätze von Emerald Earth. Über das neue Gemeinschaftszentrum, das im Bau ist — ein grosszügiges, einladendes Gebäude mit Terrasse —, sind langjährige Diskussionen geführt worden, bis alle Wünsche befriedigt und alle Einwände erledigt waren.

Cathy möchte weg

Der Mangel an formeller Hierarchie wird kompensiert mit einer verbindlichen Tagesstruktur. Sie erinnert an ein Kloster; die Glockenschläge zum Arbeitsbeginn, zum Essen, das stets zu denselben Zeiten eingenommen wird, das Ersatzritual für das Tischgebet. Doch Emerald Earth ist keine Sekte, die sich vor der Welt verschliesst. Fast alle arbeiten in der Umgebung, machen Webdesign, Akupunktur, therapeutische Massage. Die Kommune tauscht Landwirtschaftsprodukte mit lokalen Bauern, veranstaltet Workshops für Gartenbau, Naturhausbau und eine Menge mehr. Das bringt Geld und popularisiert die Idee.

Für die Gemeinschaft selber muss jeder mindestens zwanzig Stunden die Woche arbeiten. Buch geführt wird nicht, doch wer nicht tätig sei, falle unangenehm auf, meint Mika. Gartenarbeit, Hausbau und Instandsetzungsarbeiten gehören zum Pensum, ebenso Kochen, Putzen und Kinderhüten, wozu alle verpflichtet sind. Etwa einen Viertel ihres Nahrungsbedarfs kann die Kommune selber decken; mit Gartenprodukten, Pilzen aus dem Wald, Seetang vom Pazifik, Käse und Joghurt aus der Ziegenmilch. Wilde Truthähne, denen man Fallen stellt, sind beliebt auf dem Speisetisch, zumal sie im Garten schon wie die Hunnen gewütet haben.

Am Nachmittag helfe ich Cathy den Stall auszumisten. Wir fällen eine kleine Tanne, hieven sie ins Gehege, und die Ziegen zuckeln herbei und knabbern die Knospen wie Kinder eine Tüte Pommes Chips. Cathy ist japanischer Abstammung, klein, mit breitem Gesicht und kräftigem Körper. Sie ist erst seit zwei Monaten in Emerald Earth. Sie hat ihre Biofarm im Capay Valley aufgegeben, weil sie sich in Michael verliebt hat, den bärtigen Holzfäller, mit zehn Jahren Mitgliedschaft der Dienstälteste der Kommune.

Meine Frage, ob es ihr in Emerald Earth gefalle, verneint sie heftig. Sie vermisst ihre Farm, findet die Art, wie hier Landwirtschaft betrieben wird, wenig effizient und fühlt sich einsam. «Es ist schwierig, in Kontakt zu kommen, wenn man unglücklich ist», sagt sie. Nur wenige wissen, wie es ihr geht, an den regelmässig stattfindenden Aussprachen über Persönliches hat sie geschwiegen. Michael wäre bereit, mit ihr wegzugehen, doch sie will ihm das nicht antun, die Kommune ist sein Leben.

Beide leiden sie unter der Situation. Michael ist im Unruhejahr 1968 geboren, der Sohn eines sozialistischen Architekturprofessors aus Neuseeland, wie er erzählt. Nach dem Studium in Umwelttechnik arbeitete er in Costa Rica für eine Organisation, die gegen das Abholzen des Regenwaldes kämpft. Zuvor ein Zyniker, habe er da erkannt, dass man die Zukunft in die Hand nehmen müsse, wolle man nicht ihr Opfer werden. Er lernte, wie man Naturhäuser baut, den Wald bewirtschaftet, seine eigene Nahrung produziert. 1999 machte er sich mit einem befreundeten Paar, das ein dreijähriges Kind hatte, an den Aufbau von Emerald Earth.

Wegweiser der Zukunft sein

Als sie begannen, gab es bloss eine Jagdhütte mit einem Einsiedler, der dann auszog, der Kinder wegen, die in die Kommune kamen. Michaels Haus war das erste, das sie bauten, für tausend Dollar. Weitere Pioniere kamen dazu, darunter ein Arzt, der in der lokalen Klinik arbeitete. Damals wurden die Einkommen geteilt, heute bezahlt jeder für Essen, Verbrauchsmaterialien und Landbenutzung gegen 350 Dollar monatlich.

Hört man Michael reden, merkt man, dass er lange nachgedacht hat über die beste Art zu leben. Es gebe radikalere Kommunen als Emerald Earth, meint er, doch der Kontakt zur Aussenwelt, die Integration in die Gesellschaft, die Unterstützung lokaler Bauern dünkt ihn zentral für das, was sie wollen — Wegweiser sein in eine Zukunft, in der man nicht Kriege führen muss um Nahrung, Wasser und Energie. Michael hat eine nüchterne Sicht der Dinge, ist in der Welt herumgekommen und sich gewohnt, Probleme praktisch anzugehen. Nur mit Gefühlen geht das nicht. «Cathy hat mehr aufgegeben, als ich es würde, wenn ich hier wegginge», meint er mit der Grossmut des Liebenden.

Es fehlt an Kindern

Die Liebe ist denn auch das Element, das die Kommune von einem Kloster unterscheidet. Zurzeit gibt es drei Paare, zwei davon mit Kindern, und vier Einzelstehende, wovon zwei Aussenbeziehungen haben. Prana, eine davon, wird weggehen, weil sie ihren Freund nicht oft genug sehen kann.

Erst kürzlich sind Michaels Gefährten aus den Pionierjahren ausgezogen. Darryl, dem Mann, war es zu eng geworden, Sara war ausgebrannt vom steten Kommen und Gehen neuer Leute, und die Tochter Aria, die nun ein Teenager ist, hat eine andere Vorstellung von einem aufregenden Leben, als in Beerenbüschen zu stehen und sich den Mund vollzustopfen. Die Kommune sieht solche Wechsel als Teil des Lebens, nicht als Dissidenz.

Die Väter und Mütter wünschten sich mehr Erwachsene mit Kindern; Natashas Sechsjähriger ist gelangweilt mit den drei Knirpsen im Alter zwischen zwei und vier. Wäre die Kommune grösser, würde das solche Probleme entschärfen, hingegen andere, wie etwa die Konsensfindung, verschärfen.

Es ist ein heisser Nachmittag, und ich steige den Hügel hinauf, wo ich mich zu Patrick und Lisa geselle, die an der undichten Wasserpumpe herumbasteln. Sie sind guter Dinge. Lisa, eine Buchbinderin mit Heimwerkstatt, ist unlängst von ihrem Freund verlassen worden, doch die Spur von Traurigkeit, die ihre Augen umschattet, ist in Gegenwart von Patrick verschwunden. Er ist vierzig, etwas rundlich, mit glatt rasiertem Schädel, makellos getrimmtem Bart und zwei Reihen blendend weisser Zähne, die sich wie gut gelaunte Matrosen zum Appell präsentieren, wenn er lacht. Patrick ist einer der zehn Praktikanten, ein Novize, der sechs Monate in Emerald Earth verbringt und dafür 450 Dollar zahlt. Er ist aus Pasadena bei Los Angeles, selbstständiger Zimmermann, hat ein Haus mit allem, was man sich wünscht, und will weg davon. «Hier habe ich meine Familie gefunden», sagt er.

Zustrom in der Krise

Zum Nachtessen versammelt man sich wieder um den Tisch, auf dem ein Gericht aus Abalonen steht: Meeresschnecken in Suppentellergrösse, die, richtig zubereitet, die Konsistenz eines zarten Schnitzels haben. Es ist ein merkwürdiger Anblick, mitten im Wald all die Frauen und Männer zu sehen, frisch geduscht und in Abendkleidern, als wären sie in einem Gourmettempel. Man sitzt zusammen, plaudert über dies und jenes, und Robert, ein Novize im Outfit eines Cowboys, begründet mir seinen Verdacht, die Ente im Teich sei ein Psychopath und habe die andere, die dort lebte, ertränkt. Eines Morgens sah er sie bauchoben im Wasser treiben — und wann hat man schon gehört, dass eine Ente ertrinkt?

Ein paar Männer trinken Bier, ausser Robert raucht niemand, und fast alle gehen früh zu Bett. Emerald Earth ist eine Kommune, wie ich sie nicht kannte, nichts von «Sex & Drugs & Rock & Roll» — Hippies 2.0, wenn man so will. Sie sind weder politische Sektierer noch Bewohner eines Luftschlosses, das mit Flowerpower beheizt wird.

Der Teich ist wie eine grosse Wanne, voller Frösche, die nicht aus Gummi sind, und mit einer Ente, von der mir lieber wäre, sie wäre es. Böse blickt sie mich an. Eine Serienmörderin, keine Frage. Mittlerweile habe ich fast alle Kommunemitglieder näher kennengelernt. Einige von ihnen haben progressive Eltern, die teils selber in Gemeinschaften leben; ihre Kinder protestieren nicht wie diese einst gegen das Establishment und den Mief des Spiessertums. Sie setzen fort, was sie im Elternhaus gelernt haben. In Kalifornien gibt es mittlerweile 225 solcher «Intentional Communities». Der Andrang wächst und mit ihm die Rolle, die sie in der Gesellschaft spielen. Wirtschaftskrise, Klimaerwärmung und eine Rückbesinnung auf Werte, die mit den Händen geschaffen werden, sorgen für Zustrom. Viele, die sich meldeten, seien naiv, sagt Brent, fragten, ob sie ihr Pferd mitbringen könnten, oder sähen die Sache als etwas wie Ferien auf dem Bauernhof.

Emerald Earth ist wählerisch; ein Jahr dauert der Aufnahmeprozess, bis man sich schliesslich mit zehntausend Dollar einkaufen kann. Den Betrag kann man in Raten über fünf Jahre zahlen; er ist das Kapital zum Bau und Unterhalt von Infrastruktur und Häusern. Die Praktikanten, von denen sich manche um Mitgliedschaft bewerben wollen, lerne ich beim Frühstück in der Gemeinschaftsküche kennen. Einer scheint etwas scheu. Er heisst Ashley und bewegt sich, als wolle er nicht bemerkt werden. Er kommt aus Louisiana, erzählt er beim Kaffee, und hat für das Verteidigungsministerium in der Wüste von Arizona smarte Waffen getestet. Die Arbeit sei interessant gewesen, meint er, und ein Gewissen habe er sich nicht gemacht; die Sorte Waffen, wurde gesagt, würde Leben retten, da man keine Soldaten opfern müsse.

Eines Tages traf er Leute, die in einer Kommune lebten, und war fasziniert. Systematiker, der er ist, brachte er über sie und ihre Ideale mehr in Erfahrung. «Es war ein langsamer Prozess, Schritt für Schritt», sagt Ashley. «Am Ende entschied ich mich, nicht mehr für die Kultur des Todes zu arbeiten.»

Emerald Earth ist die zweite Kommune, die er besucht; er möchte sich ein paar ansehen, dann entscheiden. Zu seinen früheren Kollegen habe er noch Kontakt, doch immer weniger, sagt er. «Die meisten rufen nicht zurück, wenn ich eine Nachricht hinterlasse. Sie fürchten wohl die Fragen.»

Bei den «Locavores»: Ukiah

Ich starte den Chevrolet und mache mich zurück auf den Highway 101. Echsen huschen über das Strässchen, verscheucht vom Geklapper des Autos, dessen erstarrte Glieder der Schotter durchrüttelt. Kommunen wie Emerald Earth sind die Avantgarde einer Bewegung. In New York, der Stadt der Städte, ist es Mode, eigenes Gemüse zu ziehen. In Washington D. C. gibt der neue Nutzgarten des Weissen Hauses, zu dem Michelle Obama im Frühjahr den ersten Spatenstich tat, nicht weniger zu reden als der Rosengarten vor dem Oval Office, wo ihr Mann die Medien über die Weltlage orientiert. Die Krise ist der Katalysator des Wandels. Kalifornien steckt besonders tief drin. Unlängst noch die fünftgrösste Wirtschaftsmacht der Welt, gilt der Staat heute als nicht kreditwürdig. Doch er hat immer wieder Abstürze erlebt und sich aufgerappelt mit einer Geschwindigkeit, die einen schwindlig machen kann. Anfangs der Neunzigerjahre kollabierte die Wirtschaft, weil mit dem Ende des Kalten Krieges die Rüstungsaufträge wegfielen. In der Mitte des Jahrzehnts hatte sie sich bereits wieder erholt, nur um zur Jahrtausendwende erneut zu kollabieren, als die Dotcom-Blase platzte.

Die Zukunft kommt in Kalifornien rascher als anderswo. Des Öfteren ertappe ich mich bei der Verblüffung, dass dieser mit Naturwundern von Wüsten bis zu Schneebergen gesegnete Gliedstaat, dieses Monstrum mit seinen Megastädten, Flughäfen und Autobahnen vor hundertsechzig Jahren die Heimat von ein paar Dutzend Indianerstämmen war. Heute leben 37 Millionen Menschen in Kalifornien, das zehnmal so gross ist wie die Schweiz. Keine andere Weltgegend hat in so kurzer Zeit einen so rasanten Wandel durchgemacht.

Auch die neuste Wortschöpfung ist «made in California» — «locavore», lokaler Esser. Alice Waters, die Mutter der amerikanischen Bioküche, erntet nun die Früchte ihrer jahrelangen Kampagne für frisches, gesundes und schmackhaftes Essen. Die Frau, die von sich sagt, das köstlichste Mahl ihres Lebens habe sie bei Frédy Girardet im schweizerischen Crissier genossen, sieht das Credo ihres Lokals «Chez Panisse» in Berkeley nun Mainstream werden. Sie hat die «Edible Schoolyards» gestartet — Nutzgärten in den Schulhöfen, wo die Kinder lernen, woher was kommt, wie es schmeckt und dass es superduper ist, seine eigenen Snacks zu ziehen.

Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass diese Revolution von Leuten vorangetragen wird, die sich ein Mahl im «Chez Panisse» nie leisten könnten. Wohl aber eigenes Federvieh. Plötzlich hat jeder Hühner, nicht eines, zwei, sondern ein Dutzend. Nicht nur auf dem Land, sondern auch in Städten, in Hinterhöfen und Einfamilienhausgärten. Die Radioshow von Andy Schneider, dem «Hühnerflüsterer», wird landesweit ausgestrahlt, und Brutanstalten, die Küken per Post verschicken, kommen mit Lieferungen nicht nach.

«Gardens Project»

Hühner sind das Krisentier par excellence. Fleissig, flauschig und bescheiden, futtern sie Tischabfälle und kacken Kompost. Sie legen Ei um Ei, ohne einen Gockel zu brauchen, weshalb städtische Behörden sie nun tolerieren. Mag sein, dass sie nicht besonders schlau sind. Die von Miss Nickerson, der Spanischlehrerin meines Sohnes, flattern auf die Bäume, um zu legen. Vielleicht wollen sie Spiegeleier machen, meint sie.

In meinem Wohnort Ukiah lasse ich mir von Miles Gordon zeigen, was alles an neuen Gärten in letzter Zeit gesprossen ist. Miles, ein umtriebiger Mann in den Vierzigern, leitet das «Gardens Project» einer Hilfsorganisation. Seine Funktion ist zu koordinieren, damit der Funken zünden kann. Wer will einen Gemeinschaftsgarten gründen? Was braucht es für Material dazu? Und wo gibt es einen Ort dafür?

Seit der Krise kommt er mit der Arbeit nicht nach. Jede Woche entsteht ein neuer Nutzgarten, in armen Wohngebieten, in Seniorensiedlungen, vor Schulen, Kirchen, Polikliniken, Gefängnissen, Obdachlosenasylen und wo immer es Leute gibt, die willens sind, ihn zu bestellen. «Das ist das Wichtigste», sagt Miles. «Wenn der Garten den Leuten nicht gehört, funktioniert es nicht.»

Wir fahren in seinem alten VW-Bus durch das Städtchen und sehen uns die Gärten an. An der Cleveland Lane ist der grösste, achtundzwanzig Familien mexikanischer Immigranten haben eine brachliegende Parzelle für den symbolischen Jahreszins von einem Dollar von der Stadt gepachtet und ziehen da allerhand Grünzeug, essbare Kakteen und Cayennepfefferschoten, bei deren Anblick allein einem die Tränen in die Augen schiessen. Genaro Vega, ein junger Mann von frohem Stolz, amtet als Obergärtner. Die Häuser, in denen er und seine Landsleute wohnen, haben sie selber gebaut. Es war eine üble Gegend; Drogen, Gangs, Messerstechereien. Nun trifft man nach Feierabend Familien mit Kindern, die hacken, schwatzen und zusehen, wie die Bohnen spriessen.

Wie Emerald Earth sind auch diese Gemeinschaftsgärten Meilensteine auf dem Weg zurück in die Zukunft. Dass sie sich so schnell verbreiten, hat einen historischen Grund. Zwanzig Millionen sogenannter «Victory Gardens» produzierten im Zweiten Weltkrieg vierzig Prozent der in den USA konsumierten frischen Nahrungsmittel. Ein Haus ohne Gemüsegarten war etwas Unamerikanisches, bevor die Agrarindustrie kam mit ihrer Fabriknahrung und die Kinder nicht mehr wussten, dass die Milch von der Kuh kommt. Dreiundvierzig Millionen Haushalte, sagt die «National Gardening Association», planen dieses Jahr einen eigenen Nutzgarten oder die Teilnahme an einem Gemeinschaftsgarten.

Ein Haus aus Stroh: Chiles Valley

Es ist ein schöner Sommermorgen, als ich wieder den Highway 101 unter die Räder nehme nach Süden, in Richtung San Francisco. Ich will ins Napa Valley, wo Amerikas exklusivste Weine herkommen, und von da ins Chiles Valley, um ein paar Indianern zu helfen, ein Strohballenhaus zu bauen. Bob Theis, der Architekt, meinte, selber mit anzupacken sei sinnvoller, als ihm zuzuhören, wenn er im Lehnstuhl doziert.

Mein betagter Chevrolet, obzwar von edlem Rot, macht sich unter all den auf Hochglanz polierten Luxuskarossen im Napa Valley aus wie ein Obdachloser an der Operngala. Hier liegen die Weingüter von Robert Mondavi, das Chateau Montelena und Stag’s Leap Wine Cellars, die Kellereien, die beim historischen Weintest 1976 die besten französischen Gewächse wie Meursault-Charmes und Mouton-Rothschild schlugen und das kalifornische Terroir berühmt machten. Neun Hohepriester der Weinkultur, alles Franzosen, fällten das Urteil und sorgten für Spott, als sie französische für kalifornische und kalifornische für französische Weine hielten und entsprechend Lob und Tadel verteilten.

Die Landschaft wechselt abrupt, als ich ins enge Chiles Valley komme. Geier kreisen über den Kreten, neugierig, ob mein Auto, das einzige auf der Bergstrasse, vielleicht etwas Essbares birgt. Bob Theis, ein asketisch wirkender Mittfünfziger mit feinen, abgearbeiteten Händen, zeigt mir ein Rundhaus, das gerade fertiggestellt wird. Ich helfe Erika, Bobs aufgeweckter Assistentin, beim Pflastern der Mauern. Sie zeigt mir die richtige Mischung, zwei Kübel Lehmerde, drei Kübel Sand, zwei Kübel Reisstroh, eineinhalb Kübel Wasser. Gemischt wird von Hand, in grossen Schalen. Es ist entsetzlich heiss, und bald strömt mir der Schweiss so aus den Poren, dass ich schon fürchte, nun zu viel Flüssiges in der Pampe zu haben.

Hier gehts weiter:

http://www.tagesanzeiger.ch/ausland....alifornien/story/28679971
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