MANUEL Earthfiler

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Verfasst am: 30.03.2012, 17:07 Titel: „Samskola“ - Keine Schule ohne Visionen! |
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von Rainer Maria Rilke, 1905
Ich rede von einer Schule, die sich nicht für fertig hält, sondern für etwas Werdendes.
... Die Kinder, in enger und freundlicher Beziehung mit einigen aufmerksamen, lernenden, vorsichtigen Erwachsenen, Menschen, Lehrern, wenn man so will, sind die Hauptsache. Ich rede von einer Schule, in der es nicht nach Staub, Tinte und Angst riecht, sondern nach Sonne, blondem Holz und Kindheit. ... Man wird sagen, dass eine solche Schule sich nicht halten kann. Nein, natürlich nicht. Aber die Kinder halten sie.
Es scheint mir, als ob wir, die Erwachsenen, in einer Welt lebten, in der keine Freiheit ist. Freiheit ist bewegtes, steigendes, mit der Menschenseele sich wandelndes, wachsendes Gesetz. Unsere Gesetze sind nicht mehr die unsrigen. Sie sind zurückgeblieben, während das Leben lief. Man hat sie zurückgehalten, aus Geiz, aus Habgier, aus Eigennutz – aber vor allem: aus Angst.
Diese Schule ist nicht in ein Programm eingeschlossen, sie ist nach allen Seiten offen. Und es ist gar nicht vom „Erzieher“ die Rede. Es handelt sich gar nicht darum. Denn wer kann erziehen? Wo ist der unter uns, der erziehen dürfte? Was diese Schule versucht, ist dieses: Nichts zu stören. Aber indem sie dies auf ihre tätige und hingebende Weise versucht, indem sie Hemmungen entfernt, Fragen anregt, horcht, beobachtet, lernt und vorsichtig liebt - tut sie alles, was Erwachsene an denen tun können, die nach ihnen kommen sollen.
Man hat das Gefühl: Hier kann man etwas werden. Diese Schule ist nicht etwas Vorläufiges. Da ist schon die Wirklichkeit. Da fängt das Leben schon an. Das Leben hat sich klein gemacht für die Kleinen. Aber es ist da mit allen seinen Möglichkeiten und mit vielen Gefahren. ... Es ist gut, zu fühlen, dass in diesen Kindern nichts verkümmern kann. Jede, auch die leiseste Anlage muss nach und nach zum Blühen kommen. Keines von diesen Kindern muss sich dauernd zurückgesetzt glauben. Der Möglichkeiten sind so viele. Für ein jedes Kind muss der Tag kommen, da es sein Können entdeckt. ...
Und immer soll, unter dem Vorwande der verschiedenen Fächer vom Leben die Rede sein. Wie schön wäre es, wenn da einmal ein Bergmann kommt, ein gewöhnlicher Bergmann, der schlicht und schwer von seinen schwarzen Tagen erzählt. Und wie für ihn so steht der Lehrersessel für jeden da, der etwas erfahren hat: Für den Reisenden, der von fremden Gegenden erzählt, für den Mann, der Maschinen baut, und vor allem
für den Schlichtesten unter den Wissenden, den Handwerker, mit den klugen, vorsichtigen Händen....
Jeder Tag fängt an als etwas Neues und bringt unerwartete und erwartete und völlig überraschende Dinge. Und für alles ist Zeit. Es ist viel Zeit und Raum in dieser Schule. Um jedes dieser kleinen blonden Geschöpfe ist Raum. Wie ein Haus mit Garten ist jedes. Es hat etwas um sich herum, etwas Lichtes, Freies, Blühendes. Es soll auch nicht gerade so wie seine Nachbarn aussehen. Im Gegenteil: Es soll so von Herzen verschieden sein, so aufrichtig anders, so wahr wie nur irgend möglich. ...
Da ist keiner über dem andern. Alle sind gleich und alle Anfänger. Und was gemeinsam gelernt werden soll, ist: die Zukunft.
LG.Manuel |
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